Es gibt eine Vielzahl an existierenden Ansätzen zur computerbasierten Entscheidungsunterstützung in der Medizin. Häufig werden CDSS als Stand-Alone-Systeme entwickelt und isoliert von anderen Systemen verwendet. Der erhöhte Aufwand zur redundanten Dateneingabe lässt sich dabei meist nicht mit der Klinikroutine eines Arztes oder einer Pflegekraft vereinbaren. Integrierte Systeme hingegen unterliegen oft der Restriktion, dass sie explizit auf lokale Infrastrukturen angepasst sind. Die Wiederverwendung solcher CDSS an weiteren Standorten wird erschwert, da die Integration in andere Systemlandschaften hohe technische, finanzielle und personelle Aufwände erfordert. Die Kluft zwischen verschiedenen lokalen Infrastrukturen und CDSS kann durch den Einsatz verschiedener Methoden überwunden werden: Dazu zählt u. a. die Verwendung standardisierter Methoden zur Repräsentation medizinischen Wissens – auch über Terminologien und Ontologien. Auch der Einsatz standardisierter Informationsmodelle zur Repräsentation von Daten in semantisch angereicherter und maschinenlesbarer Form ist ein Schlüsselaspekt, um CDSS semantisch interoperabel zu gestalten. Dies ist insofern erforderlich, damit über Standorte hinweg ein gemeinsames und einheitliches Verständnis über die der Wissensbasis und der Inferenzkomponente des CDSS zugeführten Daten gewährleistet werden kann.
Im CADDIE-Projekt wird die Entwicklung entsprechender Systeme auf Basis eines openEHR-basierten Datenrepositoriums (siehe dazu HaMSTR) erprobt. OpenEHR ist ein Konzept, mit dem komplexe Datensätze aus klinischen Konzepten (z.B. Atemfrequenz, Blutdruck) maschinenlesbar und in einem standardisierten Format abgelegt werden können, um die darin enthaltenen Informationen z. B. für den Austausch zwischen Organisationen oder Abfragen zur Verfügung zu stellen. Das Referenzmodell stellt weiterhin eine standardisierte Abfragesprache (Archetype Query Language, AQL) bereit und bietet Möglichkeiten für die Verwendung von Terminologien.
Im ersten Schritt wurde für die Klinik für Pädiatrische Intensivmedizin der MHH ein Prototyp entwickelt, der auf Expertenregeln basiert und zur Unterstützung der Erkennung des Systemischen Inflammatorischen Response-Syndroms (SIRS), einer Vorstufe der Sepsis, beiträgt. Im weiteren Projektverlauf sollen u. a.:
- die Wissensbasis durch weitere Parameter erweitert (u. a. Sepsis, Organversagen),
- andere Wissensrepräsentationsformate und -ansätze (u.a. Arden Syntax, Guideline Definition Language) erprobt,
- datengetriebene, maschinelle Lernalgorithmen integriert,
- der Einsatz als Live-System untersucht und
- die Wiederverwendung an anderen Standorten, die ebenfalls das openEHR-Referenzmodell implementieren, erforscht werden.
Die Entwicklung interoperabler CDSS soll die Basis für die Etablierung institutionsübergreifend kooperierender Entscheidungssysteme in der (pädiatrischen) Intensivmedizin bilden, um aus standortübergreifenden, großen Datenbeständen neue Erkenntnisse zu gewinnen, die direkt in die klinische Routine zurückgespielt werden können. Ebenso wie HaMSTR soll auch CADDIE einen wertvollen Beitrag leisten, um die MHH im Bereich der Wiederverwendung klinischer Datenbestände auf internationalem Niveau konkurrenzfähig zu machen.