2023-04-26: Pressemeldung für Nature Communications Paper
Phänotyp-basierte Krankheitsdefinitionen erschweren die Suche nach Krankheitsmechanismen
Stellen Sie sich eine Zukunft vor, in der Ärzt:innen Krankheiten heilen können, indem sie die ihnen zugrunde liegenden Ursachen angehen, anstatt nur die Symptome zu behandeln. Das ist genau das, was die Netzwerk- und Präzisionsmedizin anstrebt. Anstatt Krankheiten hauptsächlich anhand von Symptomen oder betroffenen Organen zu definieren, wie es z.B. in der viel genutzten International Classification of Diseases (ICD) geschieht, zielt die Netzwerkmedizin darauf ab, Krankheiten anhand der zugrunde liegenden molekularen Mechanismen zu klassifizieren. Durch das Verständnis dieser Mechanismen könnten Mediziner:innen gezieltere und wirksamere Behandlungen entwickeln, die Menschen mit komplexen Erkrankungen heilen, statt nur ihre Symptome zu lindern.
Um diese Vision zu verwirklichen, zielen Ansätze der Netzwerkmedizin darauf ab, die molekularen Mechanismen aufzudecken, die komplexen Krankheiten zugrunde liegen. Zu diesem Zweck greifen Forscher:innen häufig auf große Datenbanken zurück, in denen Krankheiten mit Proteinen, genetischen Varianten, Medikamenten oder Symptomen in Verbindung gebracht werden. In solchen Datenbanken werden Krankheiten jedoch mit genau den organ- und symptombasierten Krankheitsklassifikationssystemen beschrieben, die die Netzwerkmedizin zu überwinden sucht. Dies wirft die Frage auf, ob Netzwerkmedizin-Studien, die sich auf große Datenbanken zur Krankheitsassoziation stützen, das Risiko bergen, die durch organ- und symptombasierte Krankheitsdefinitionen eingeführten Verzerrungen zu reproduzieren.
Um diese Frage zu beantworten, hat ein internationales Forscher:innen-Team unter Beteiligung der FAU, der Universität Hamburg und der TU Braunschweig Netzwerke aus verschiedenen Datenbanken konstruiert, die häufig für die Suche nach Pathomechanismen verwendet werden. Anschließend untersuchten sie, ob diese Netzwerke paarweise ähnlicher sind als zufällig zu erwarten wäre. Dies sollte der Fall sein, wenn die zugrunde liegenden Datenbanken tatsächlich nützliche Informationen über Krankheitsmechanismen enthalten. Ihre Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlicht und können auch in einer interaktiven Webanwendung visualisiert werden (https://graphsimviz.net/):
“Obwohl aktuell verfügbare Datenbanken eine grobe Einschätzung molekularer Krankheitsmechanismen zulassen, tappen wir bei den Details einzelner Krankheiten häufig noch im Dunkeln.”, berichtet Prof. Dr. Tim Kacprowski von der Abteilung Data Science in Biomedicine des PLRI. “Fokussierte Studien mit molekularen Daten für gut charakterisierte Patientenkohorten sind also immernoch der beste Weg, sogar eine Notwendigkeit, um die Systemmedizin weiter vorran zu treiben.”
Originalveröffentlichung
Autoren: Sadegh, Sepideh; Skelton, James; Anastasi, Elisa; Maier, Andreas; Adamowicz, Klaudia; Möller, Anna; Kriege, Nils M; Kronberg, Jaanika; Haller, Toomas; Kacprowski, Tim; Wipat, Anil; Baumbach, Jan; Blumenthal, David B
Titel Lacking mechanistic disease definitions and corresponding association data hamper progress in network medicine and beyond
Journal: Nature Communications 14 (2023)
DOI: 10.1038/s41467-023-37349-4
Website: https://graphsimviz.net/
Kontakt
Prof. Dr. Tim Kacprowski
Technische Universität Braunschweig
Peter L. Reichertz Institut für Medizinische Informatik
Abteilung Data Science in Biomedicine
Rebenring 56
38106 Braunschweig
Tel.: 0531 391-9541
E-Mail: tim.kacprowski@plri.de
www.plri.de